Aktionen gegen die EU-Feierlichkeiten
zur EU-Osterweiterung
30.04.2004, 16.45 Uhr, Senefelder Platz (Prenzlauer Berg)
Reclaim Europa!
EU-Osterweiterung
- kein Grund zum Feiern
Am 30. April, der Walpurgisnacht, wird sich die EU-Kommission mit ihrem
Vorsitzenden Prodi in Berlin treffen. Ab 21.00 Uhr werden dann die HERRschenden
am Gendarmenmarkt mal wieder so richtig feiern. Anlass ist die zum 1. Mai
2004 vollzogene Osterweiterung der Europäischen Union um die zehn Beitrittskandidaten
aus Ost- und Südosteuropa. Zu der Feier werden auch hochrangige Vertreter
aus Wirtschaft, Politik und Lobbyverbänden erwartet. Bereits am Nachmittag
werden sie in Prenzlauer Berg unterwegs sein...
Wenn die Herrschenden feiern, so ist dies in den seltensten Fällen ein wirklicher Grund zur Freude. Das gilt auch für die Osterweiterung. Auch wenn es inzwischen für die Länder Osteuropas kaum eine wirtschaftliche Alternative zum EU-Beitritt gibt, die EU-Osterweiterung ist alles andere als ein Glücksgriff für die osteuropäischen Gesellschaften.
Das Ende der
Geschichte
Seit dem Ende des Staatssozialismus wurden die osteuropäischen Gesellschaften
vom internationalen Währungsfond (IWF) und auch der Europäischen
Union unter Druck gesetzt, einen kapitalistischen Entwicklungsweg einzuschlagen.
So wurden die Schulden der zerschlagenen Staatsapparate und neue Kreditversprechen
als Hebel genutzt, um einen der tiefgreifendsten wirtschaftlichen Restrukturierungsprozess
der Geschichte durchzusetzen. Unter der Maßgabe, privatwirtschaftliche
Strukturen aufzubauen, wurden in fast allen osteuropäischen Ländern
die bestehenden Volkswirtschaften weitgehend demontiert, die staatlichen
Sektoren der Industrie wurden zerschlagen und gingen in der Regel an internationale
Firmen. Im Vorfeld der Osterweiterung stand eine Westerweiterung: Mit dem
Versprechen einer Teilhabe an den Strukturen der EU öffneten sich die
Tore für westeuropäische Investoren, Immobilienhändler und
Institutionen. Historische Erfahrungen oder spezifische Entwicklungswege
wurden dabei von der Gegenwart abgeschnitten. Gerade diese erzwungenen Entwicklungswege
lassen die EU-Osterweiterung als alternativlos erscheinen.
Westnormen der
Strukturanpassung
Das Beitrittsprozedere selbst setzte immer wieder neue Normen, die die sogenannten
Beitrittskandidaten zu erfüllen hatten: hier ein bisschen mehr Marktwirtschaft,
dort höhere Ausgaben für die Sicherheitspolitik und anderen Orts
die Übernahme westlicher Institutionen. Wurden bei den Wahlen die „Falschen“
gewählt, mussten Defizite im Demokratisierungsprozess ausgeglichen
werden. Die Kriterien des Beitrittkarussells selbst waren dabei selten transparent
und boten ein universelles Instrument zur Durchsetzung westlicher Verhältnisse
in den Ländern. Die Nationalen Regierungen agieren zwar am Gängelband
von IWF, EU-Kommission, EU-Regierungen und Großkonzernen, aber die
Leute wählen sie nicht nur, weil alles so alternativlos ist, sondern
auch weil sie Konsum einfach geil finden und sich vom EU-Beitritt ein größeres
Stück vom Kuchen versprechen.
Gehe zurück
auf Los
Im Ergebnis dieser gigantischen „Strukturanpassungen“ - so nennen
die Weltbankökonomen und EU-Funktionäre derartige Programme -
wurden soziale Sicherungssysteme, Tarifregelungen und soziale Wohnungsbestände
fast völlig abgebaut und außer Kraft gesetzt. Die Rekapitalisierung
Osteuropas übersprang die Phase der Sozialstaatsorientierung einfach
und schuf Verhältnisse, wie sie im Westen erst mit den laufenden Deregulierungs-
Liberalisierungs- und Privatisierungsprogrammen durchgesetzt werden sollen.
Die Folgen dieser Anpassung: Massenarmut, von der insbesondere Frauen betroffen
sind, die zurück in traditionelle Rollenmuster gedrängt werden.
Von der vormals selbstbewusste Arbeiterschaft Osteuropas ist wenig geblieben:
War sie noch 1990 wie in Polen oder Rumänien der zentrale Motor der
gesellschaftlichen Umbrüche, so sind ihre Organisationsstrukturen heute
weitgehend zerschlagen. Selbst basale Standards des Arbeitsrechtes sind
in den meisten Ländern kaum entwickelt. Kein Wunder also, dass die
großen europäischen Industriekartelle den Stellenabbau in Westeuropa
mit den weitaus besseren Bedingungen im Osten begründen. Erst kürzlich
kündigte der deutsche Industriegigant Siemens an, Tausende Stellen
in Deutschland abzubauen und dafür die Kapazitäten in Osteuropa
auszuweiten.
Konkurrenz statt
Kooperation
Statt auf die historisch gewachsenen Handels- und Kooperationsbeziehungen
zwischen den osteuropäischen Ländern zu setzen, wurden diese weitgehend
torpediert und mit riesigen Beraterstäben und etlichen Vorortpräsenzen
westeuropäischen Wirtschaftunternehmen ersetzt. So ist etwa die westdeutsche
WAZ seit Jahren die größte Verlagsanstalt in Bulgarien und nutzt
die dort gewachsenen Kontakte, um im gesamten Balkanraum Fuß zu fassen.
Fußtruppen
für die Nato
Einher mit dem Osterweiterungsprozess der EU ging das Werben der Nato um
die osteuropäischen Militärpotentiale. Dabei verstärkten
sich beide Prozesse gegenseitig - undenkbar, dass sich ein Beitrittskandidat
der EU nicht auch im Rahmen der Nato engagieren würde. Als Teil des
„neuen Europas“ beteiligen sich etwa bulgarische, polnische
und ukrainische Truppen an der Besetzung des Iraks und andere Länder
wie Ungarn oder Rumänien stellen zentrale militärische Infrastrukturen
ihren Länder der amerikanischen Kriegsmaschine zur Verfügung.
Deutlich wird dabei auch, dass bei der Nato andere Kriterien als beim EU-Beitritt
gelten: zum Kriegmachen reicht es schneller. Mit der vorgeschlagenen EU-Verfassung
werden künftig Entscheidungen über Militäreinsätze allein
dem EU-Ministerrat unterliegen. Nationale Entscheidungsgremien werden damit
ausgehebelt. Alle EU-Mitgliedsländer unterwerfen sich mit dem Verfassungsentwurf
auch einer Orientierung an Präventivkriegen. In der entsprechenden
Passage des Entwurfes heißt es: „Unser herkömmliches Konzept
von Selbstverteidigung (...) ging von der Gefahr einer Invasion aus. Bei
den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland
liegen. Die neuen Bedrohungen sind dynamischer Art. (...) Daher müssen
wir bereit sein vor dem Ausbrechen einer Krise zu handeln.“
Grenzen und
Rassismus
Mit der Osterweiterung der EU ging auch eine Ostverschiebung der EU-Außengrenze
einher. Abschiebelager, Grenzanlagen und die Ausbildung der Grenzpolizei
wurde bereits in den letzten Jahren mit EU-Geldern und unter Anleitung europäischer
Experten auf- und ausgebaut. Von 2001 bis 2006 hat die EU die Asyl- und
Lagerpolitik der osteuropäischen Länder kommissarisch übernommen:
eine eigenständige Grenz- und Flüchtlingspolitik ist damit völlig
ausgeschlossen. Das Hauptinteresse dieser Grenzverschiebung besteht in einer
effektiveren Flüchtlingsabwehr und einer Auslagerung der unangenehmen
Nebenerscheinungen der Festung Europa. Während die brutale Grenz- und
Ausschlusspolitik in Kerneuropa zusehendes dem Blickfeld entschwinden wird,
verwandeln sich die Grenzgebiete Osteuropas in rechtfreie Zonen, aus denen
Flüchtlinge ohne Verfahren abgeschoben werden können. Die Grenzen
der Festung Europa verschwinden damit auch dem Blickfeld hier. In den EU-finanzierten
Abschiebelagern Osteuropas werden unter anderem die Flüchtlinge aus
den Ländern eingesperrt, in denen die mächtigsten Staaten der
Welt Krieg führen. So werden an der polnisch-belorussischen Grenze
tschetschenische Flüchtlinge in einem extra dafür vorgesehenen
Lager kaserniert, währen im ungarischen Debrecen bereits Wochen vor
dem Afghanistankrieg ein für afghanische Flüchtlinge vorgesehenes
Lager errichtet wurde.
Repression
Auf der Welle der Terrorpanik und Sicherheitsverschärfung nach dem
11. September wurden auch in Europa viele neue Repressionsinstrumente geschaffen,
die im Zuge der Osterweiterung nun auch gleich eine territoriale Ausdehnung
erfahren. Ob Europäischer Haftbefehl, Schengen Informationssystem (SIS)
oder „Schwarze Listen“ und Ausreiseverbote bei internationalen
Gipfelprotesten - die osteuropäischen Polizeiapparate und Geheimdienste
sind längst zu einem „zuverlässigen“ Partner für
Europol und die westeuropäischen Sicherheitsstrategen geworden. Insbesondere
die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Repressionsstrukturen wird
die internationale Kooperation von sozialen Widerstandsbewegungen erschweren.
Europa des Widerstandes
Doch es gibt nicht nur das Europa des Kapitals, des Krieges und der Abschottung.
In den letzten Jahren haben sich in vielen Ländern und auch in Osteuropa
soziale Bewegungen entwickelt, die sich zu einem internationalen Widerstand
formieren. Nicht nur auf den Sozialforen, sondern v.a. auf den Gipfelmobilisierungen
gegen IWF, WEF, G8 oder EU ist ein neuer Konfrontationswille gewachsen -
Aktive und Gruppen aus Osteuropa waren trotz wesentlich erschwerter Bedingungen
dabei immer ein wichtiger Bestandteil der Mobilisierungen. In Göteborg,
Barcelona und Thessaloniki gab es Massendemonstrationen und militante Aktionen
gegen die EU-Gipfel und auch in Warschau wird es am 28/29. April einen hoffentlich
massiven Protest gegen die WEF-Tagung geben.
Gegen ein Europa
der HERRschenden - smash the system!
Keine Festung Europa - Grenzen auf für alle!